Dieser Blog wurde für die Auslandspraktikant*innen des Berufskollegs Bachstraße in Düsseldorf eingerichtet. Er dient zum Austausch von Ideen, Tipps, Erfahrungen und Hinweisen, die für den Auslandsaufenthalt unserer Praktikant*innen nützlich sind.




Dienstag, 6. September 2016

Andere Länder - andere Bücher

Erschienen im Buchmarkt Juni 2016
Fotos: Matt Round



Ein Comicladen in Wohnzimmergröße

Als ich auf dem Weg nach Exeter, einer Universitätsstadt in der Grafschaft Devon im Südosten Englands war, hatte ich Angst. Ich befürchtete, dass ich in England von den fremden Strukturen überfordert und frustriert werden könnte, denn was erwartet man von einem Land, in dem keine Buchpreisbindung existiert und auch sonst so viel anders ist als im gewohnten deutschen Buchhandel?

Doch genau das war der Zweck dieser Reise: Einen Monat lang sollte ich in einem kleinen Comicladen arbeiten, ein Auslandspraktikum, um meine interkulturelle Kompetenz zu verbessern. Eine Möglichkeit, zu der sicher nicht jeder Auszubildende kommt, und die mir durch eine offene Arbeitgeberin, engagierte Lehrer und nicht zuletzt durch die Förderung durch Erasmus+ und das Sozialwerk des Börsenvereins zugutekam (an dieser Stelle vielen Dank an alle Beteiligten).

Der Laden, in dem ich arbeitete, war OMG! Toys Comics Games in der McCoys Arcade auf der Fore Street. Der Besitzer, Lewis Knight, hatte das bereits seit 1990 existierende Geschäft im Jahre 2010 übernommen. Comics, Action-Figuren und Merchandise auf 18m², ein kleines inhabergeführtes Geschäft, wie es im Buche steht. Doch was bedeutet das in Großbritannien?

 Gemälde mit Groot aus Guardians of the Galaxy und der TARDIS aus Doctor Who
Das Umfeld von OMG! ist schnell zusammengefasst: Auf der Fore Street gibt es fast ausschließlich unabhängige Geschäfte, vorrangig Gastronomie, aber auch Bekleidungs- und DIY-Läden. Die Geschäfte der Fore Street sind eine Einheit – die jeweiligen Besitzer und Mitarbeiter kennen sich gut, sind miteinander befreundet, man grüßt sich und unterstützt einander wo man kann. Die Fore Street geht von der so england-typischen High Street, der Einkaufsstraße ab, wo die üblichen Ketten ihren Sitz haben. Dort findet sich auch OMG!s erstes Problem: Nur wenige potenzielle Kunden machen sich freiwillig die Mühe, die High Street zu verlassen und die Fore Street hinunter zu laufen. Als Lewis den Laden neu eröffnete hatte er allerdings noch den entscheidenden Vorteil, der einzige reine Comicladen in Exeter zu sein. Mit diesem Monopol konnte er anfangs ein gutes Wachstum in seinen Umsätzen feststellen. Dieses stagnierte jedoch, als zwei weitere Comicgeschäfte eröffneten, welche sich näher an der High Street befanden. 

Das ist der klare Vorteil der Konkurrenz, denn obwohl man es mit dem Hintergrund der Buchpreisbindung in Deutschland vermuten könnte sind die Preise nicht Lewis‘ Problem: Er ist im direkten Vergleich zu den anderen Läden und auch zur Filiale der Buchhandelskette Waterstones auf der High Street der preisgünstigste Anbieter. 

Innerhalb mehrerer Tage haben wir den Regalbrettern einen neuen Anstrich verpasst, vorher waren sie naturbelassen
Da der Comichandel vielleicht nicht unbedingt repräsentativ für den gesamten Buchhandel Großbritanniens ist habe ich auch in der Waterstones-Filiale eine dort tätige Buchhändlerin gebeten, mir ein paar Fragen zu beantworten. Leanne Chidgey ist in ihren Zwanzigern und seit 2 Jahren im Buchhandel tätig. Sie ist überzeugt, dass eine Buchpreisbindung in Großbritannien nicht funktionieren würde, da der Wettbewerb auf Preisbasis bei den Kunden sehr beliebt sei. Im britischen Buchhandel funktionieren Bücher ähnlich wie wir das vor allem von Non-Books kennen: Der Verlag macht eine unverbindliche Preisempfehlung, und an die kann man sich halten – oder den Preis eben herabsetzen. Während man oft die Idee hat, dass kleinere Läden dadurch chancenlos wären, da die großen Konzerne sich Preisdumping erlauben können, ist gerade das Gegenteil der Fall: Waterstones und ähnliche Großkonzerne sowie Supermärkte und andere Geschäfte die Bücher zusätzlich zu ihrer eigentlichen Ware führen halten sich in der Regel an den vorgeschlagenen Preis, während inhabergeführte Buchhändler die Preise senken, um für potenzielle Kunden attraktiver zu werden. Auch die Qualität der Bücher ist nach Leannes Meinung nicht eingeschränkt, was auf einen Wettbewerb gegen E-Books zurück zu führen ist. All das wirft die Frage auf, ob eine Buchpreisbindung für kleine Buchhändler in Deutschland so ausschlaggebend ist, wie wir denken, oder ob die Probleme unabhängiger Geschäfte in Ländern ohne Preisbindung nicht vielleicht andere Faktoren sind. Was funktioniert in Großbritannien nicht und in Deutschland schon? Ist es die Mentalität der Kunden? Sind es Mietpreise? Sind es politische Hintergründe, die uns noch nicht offenbart sind? Die Antwort bleibt abzuwarten.

Da die Comics aus den USA importiert und somit in Dollarpreisen ausgezeichnet sind ist ein Comic Price Guide mit einer Umrechnung in die Pfundpreise für den Kunden nützlich - auch hier konnte ich mich austoben.
Auch die Lieferbedingungen und Konditionen sind erwähnenswert, denn sie unterscheiden sich nicht nur von deutschen Verhältnissen, sondern sind auch zwischen Waterstones und OMG! Comics recht unterschiedlich. Ähnlich der deutschen Verlage gewähren britische Lieferanten dem Abnehmer einen Rabatt, der wie hier in der Regel bei 30-45% liegt. Ware auf Kommission zu beziehen ist jedoch unbekannt – Lewis begeistert nach einer kurzen Erklärung die Idee jedoch. Er bezieht seine Waren vom Comicgroßhändler Diamond Comics, welcher die Hefte, Graphic Novels (was so ziemlich alles einschließt was kein Heft ist) und Non-Book-Artikel aus den USA importiert. Comics können innerhalb einer Woche geliefert werden, alles andere muss zwei Monate im Voraus bestellt werden. Waterstones nutzt Nielsen Database, einen internationalen Katalog, und bestellt bei einem Großhändler namens Bertrams, welcher die Bücher in 3-4 Tagen liefert. Nur bei Bestellungen beim firmeneigenen Großlager ist das Buch wie für uns so selbstverständlich am nächsten Tag im Geschäft.

Ein kleiner Schlag gegen den Berufsstolz erzeugte die Antwort auf die Frage nach der Ausbildung: Es gibt schlicht und ergreifend keine. Generell sind Ausbildungen im deutschen Sinne in Großbritannien fast nur noch für Berufe verfügbar, welche mit einem College-Abschluss verbunden sind. Alle anderen werden einfach ins kalte Wasser geworfen, in den Laden gestellt und eingearbeitet. Ob man mit einer 2- bis 3-jährigen deutschen Ausbildung auf dem britischen Arbeitsmarkt somit bessere Chancen hat, bleibt abzuwarten. Nach dem Praktikum bei OMG! Comics werde ich es aber auf jeden Fall versuchen.