Fotos: Matt Round
Ein Comicladen in Wohnzimmergröße |
Als ich auf dem Weg nach Exeter, einer Universitätsstadt in
der Grafschaft Devon im Südosten Englands war, hatte ich Angst. Ich
befürchtete, dass ich in England von den fremden Strukturen überfordert und
frustriert werden könnte, denn was erwartet man von einem Land, in dem keine
Buchpreisbindung existiert und auch sonst so viel anders ist als im gewohnten
deutschen Buchhandel?
Doch genau das war der Zweck dieser Reise: Einen Monat lang
sollte ich in einem kleinen Comicladen arbeiten, ein Auslandspraktikum, um
meine interkulturelle Kompetenz zu verbessern. Eine Möglichkeit, zu der sicher
nicht jeder Auszubildende kommt, und die mir durch eine offene Arbeitgeberin,
engagierte Lehrer und nicht zuletzt durch die Förderung durch Erasmus+ und das
Sozialwerk des Börsenvereins zugutekam (an dieser Stelle vielen Dank an alle
Beteiligten).
Der Laden, in dem ich arbeitete, war OMG! Toys Comics Games
in der McCoys Arcade auf der Fore Street. Der Besitzer, Lewis Knight, hatte das
bereits seit 1990 existierende Geschäft im Jahre 2010 übernommen. Comics, Action-Figuren
und Merchandise auf 18m², ein kleines inhabergeführtes Geschäft, wie es im
Buche steht. Doch was bedeutet das in Großbritannien?
Gemälde mit Groot aus Guardians of the Galaxy und der TARDIS aus Doctor Who |
Das Umfeld von OMG! ist schnell zusammengefasst: Auf der Fore
Street gibt es fast ausschließlich unabhängige Geschäfte, vorrangig Gastronomie,
aber auch Bekleidungs- und DIY-Läden. Die Geschäfte der Fore Street sind eine
Einheit – die jeweiligen Besitzer und Mitarbeiter kennen sich gut, sind
miteinander befreundet, man grüßt sich und unterstützt einander wo man kann. Die
Fore Street geht von der so england-typischen High Street, der Einkaufsstraße
ab, wo die üblichen Ketten ihren Sitz haben. Dort findet sich auch OMG!s erstes
Problem: Nur wenige potenzielle Kunden machen sich freiwillig die Mühe, die High
Street zu verlassen und die Fore Street hinunter zu laufen. Als Lewis den Laden
neu eröffnete hatte er allerdings noch den entscheidenden Vorteil, der einzige
reine Comicladen in Exeter zu sein. Mit diesem Monopol konnte er anfangs ein
gutes Wachstum in seinen Umsätzen feststellen. Dieses stagnierte jedoch, als
zwei weitere Comicgeschäfte eröffneten, welche sich näher an der High Street
befanden.
Das ist der klare Vorteil der Konkurrenz, denn obwohl man es
mit dem Hintergrund der Buchpreisbindung in Deutschland vermuten könnte sind
die Preise nicht Lewis‘ Problem: Er ist im direkten Vergleich zu den anderen
Läden und auch zur Filiale der Buchhandelskette Waterstones auf der High Street
der preisgünstigste Anbieter.
Innerhalb mehrerer Tage haben wir den Regalbrettern einen neuen Anstrich verpasst, vorher waren sie naturbelassen |
Da der Comichandel vielleicht nicht unbedingt repräsentativ
für den gesamten Buchhandel Großbritanniens ist habe ich auch in der
Waterstones-Filiale eine dort tätige Buchhändlerin gebeten, mir ein paar Fragen
zu beantworten. Leanne Chidgey ist in ihren Zwanzigern und seit 2 Jahren im
Buchhandel tätig. Sie ist überzeugt, dass eine Buchpreisbindung in
Großbritannien nicht funktionieren würde, da der Wettbewerb auf Preisbasis bei
den Kunden sehr beliebt sei. Im britischen Buchhandel funktionieren Bücher
ähnlich wie wir das vor allem von Non-Books kennen: Der Verlag macht eine
unverbindliche Preisempfehlung, und an die kann man sich halten – oder den
Preis eben herabsetzen. Während man oft die Idee hat, dass kleinere Läden
dadurch chancenlos wären, da die großen Konzerne sich Preisdumping erlauben
können, ist gerade das Gegenteil der Fall: Waterstones und ähnliche
Großkonzerne sowie Supermärkte und andere Geschäfte die Bücher zusätzlich zu
ihrer eigentlichen Ware führen halten sich in der Regel an den vorgeschlagenen
Preis, während inhabergeführte Buchhändler die Preise senken, um für potenzielle
Kunden attraktiver zu werden. Auch die Qualität der Bücher ist nach Leannes
Meinung nicht eingeschränkt, was auf einen Wettbewerb gegen E-Books zurück zu
führen ist. All das wirft die Frage auf, ob eine Buchpreisbindung für kleine
Buchhändler in Deutschland so ausschlaggebend ist, wie wir denken, oder ob die
Probleme unabhängiger Geschäfte in Ländern ohne Preisbindung nicht vielleicht
andere Faktoren sind. Was funktioniert in Großbritannien nicht und in
Deutschland schon? Ist es die Mentalität der Kunden? Sind es Mietpreise? Sind
es politische Hintergründe, die uns noch nicht offenbart sind? Die Antwort
bleibt abzuwarten.
Auch die Lieferbedingungen und Konditionen sind
erwähnenswert, denn sie unterscheiden sich nicht nur von deutschen
Verhältnissen, sondern sind auch zwischen Waterstones und OMG! Comics recht
unterschiedlich. Ähnlich der deutschen Verlage gewähren britische Lieferanten
dem Abnehmer einen Rabatt, der wie hier in der Regel bei 30-45% liegt. Ware auf
Kommission zu beziehen ist jedoch unbekannt – Lewis begeistert nach einer
kurzen Erklärung die Idee jedoch. Er bezieht seine Waren vom Comicgroßhändler
Diamond Comics, welcher die Hefte, Graphic Novels (was so ziemlich alles
einschließt was kein Heft ist) und Non-Book-Artikel aus den USA importiert.
Comics können innerhalb einer Woche geliefert werden, alles andere muss zwei
Monate im Voraus bestellt werden. Waterstones nutzt Nielsen Database, einen
internationalen Katalog, und bestellt bei einem Großhändler namens Bertrams,
welcher die Bücher in 3-4 Tagen liefert. Nur bei Bestellungen beim
firmeneigenen Großlager ist das Buch wie für uns so selbstverständlich am
nächsten Tag im Geschäft.
Ein kleiner Schlag gegen den Berufsstolz erzeugte die
Antwort auf die Frage nach der Ausbildung: Es gibt schlicht und ergreifend
keine. Generell sind Ausbildungen im deutschen Sinne in Großbritannien fast nur
noch für Berufe verfügbar, welche mit einem College-Abschluss verbunden sind.
Alle anderen werden einfach ins kalte Wasser geworfen, in den Laden gestellt
und eingearbeitet. Ob man mit einer 2- bis 3-jährigen deutschen Ausbildung auf
dem britischen Arbeitsmarkt somit bessere Chancen hat, bleibt abzuwarten. Nach
dem Praktikum bei OMG! Comics werde ich es aber auf jeden Fall versuchen.